Durch eine schmale Halle betritt man die venezianische, traditionsreiche Seidenweberei Bevilacqua, wo unsere einzigartige Zeitreise zwischen Lampassen, Brokaten, also prachtvollen Stoffen und Soprarizzo anfängt.
Links liegen auf hohen Holzregalen gestapelt tausende und tausende alte, heute nicht mehr benutzte Lochkarten.
Links stehen ein senkrechter Schärrahmen und ein waagerechter Schärrahmen für die Herstellung von den aufgewickelten Kettfäden.
Rechts ein Ambiente ohnegleichen: eine doppelte Reihe von venezianischen hölzernen Webstühlen aus dem 18. Jahrhundert und im oberen Bereich Jacquardwebstühlen.
Der Jacquardwebstuhl ermöglicht die Kettfäden einzeln hoch zu ziehen, jedes Loch der Lochkarte entspricht einem Faden, durch die Pedale geht die Lochkarte nach oben, ein Nagel geht durch, der Faden wird nach oben gezogen, so daß durch die Lochkarten das Muster des Gewobenen entsteht.
In der Vergangenheit wurden sie von oben stehenden Kindern je nach Muster gezogen; durch diesen Jacquardwebstuhl wurde das Weben wesentlich schneller.
In der Firma Bevilacqua entstehen Luxusgeweben aus Seide mit alten Techniken und alten Werkzeugen, die wie vor 200 und mehr Jahren heute noch identisch verwendet werden. Hier lebt die Webgeschichte mit zeitlosen, edlen Mustern, kostbaren und wertvollen Stoffen und Sämten wieder auf.
Die Lochkarten werden heute per Computer und nicht mehr mit der Hand gelocht, aber die Webstühle werden wie damals von den Weberinnen eingerichtet und sie werden wie damals mit der Kraft der Weberinnen durch Pedale betätigt, die Fäden werden wie damals mit einer Klinge (Trevette) von den Weberinnen geschnitten, der Schützen wird mit der Hand durch das Fach in Bewegung gesetzt, also unverändert wie in der Vergangenheit.
Jede Lochkarte entspricht einem Millimeter von einem Muster, für 1,5 Linearmeter braucht man 3000 Lochkarten.
Die 18 Webstühlen stammen aus der Weberzunft Venedigs und überlebten Napoleons zerstörerischer Wut. Luigi Bevilacqua hat sie im 19. Jahrhundert gefunden, eine erste Firma mit einem Partner mit Sitz bei San Lorenzo im Castello Viertel gegründet, dann wurde der Sitz auf den Palast Labia verlegt und ist seit 1918 hier am Canal Grande im Santa Croce Viertel.
Die Weberinnen richten je nach der Anzahl der Fäden den Webstuhl ein … dafür können sie bis zu 6 Monaten brauchen, besonders für den sehr komplexen Soprarizzo Stoff wie vor ein paar Jahren für den wichtigen Auftrag des Kremls nötig.
Die Fäden für den Grundgewebe/Träger aus Baumwolle oder Seide werden an einem Ende auf den Kettbaum ausgespannt und aufgebäumt, nachdem sie durch eine Litze und das Webblatt geführt worden sind. Die Steine halten die Fäden straff, auch die Fäden der Spulen (der zukünftigen Musterung) müssen in Spannung sein, daher die kleinen Gewichte.
In diesem alten Gewerbe wird noch gemusterter Samt Soprarizzo (literarisch übersetzt ‚über der Locke‘) Seide mit Liebe, Geduld und Präzision gewoben; es gibt keine andere Stelle auf der Welt, wo man heutzutage noch diesen Samt webt.
Warum?
Weil es mühselig, zeitaufwendig und vor allem technisch nicht einfach ist.
Das Geheimnis von dem Soprarizzo: in das Fach werden 2 metallische Stangen eingeführt, eine mit einer kaum sichtbaren Nut und eine runde, die erste wird dann mit einer Klinge (Trevette eben) aufgeschnitten, der Flor öffnet sich und scheint dunkler zu sein, die zweite wird nicht aufgeschnitten, dadurch bleibt eine ‚Locke‘, die heller aussieht.
Man hat also 2 Niveaus von Flor, ein Faden, aber den Eindruck von 2 Farben.
Dott. Alberto Bevilacqua, CEO und Geschäftsführer der Luigi Bevilacqua Weberei, ist die 4. Generation und nimmt die Herausforderung an, daß Webstühle aus einer vergangenen Epoche heute noch nach einem alten Verfahren immer neue Musterungen herstellen können, für immer neue Zwecke benutzt werden: einst für die Innenausstattung von Kirchen, Theatern, Palästen, heute auch für die Haute Couture.
Zusammen können wir diese Weberei besichtigen und uns vom echten Handwerk verführen lassen!
Fiona Giusto
www.venicetours.it