Im Jahr 2019 wurden wir mit Wörtern konfrontiert, die wir zwar kannten, die aber für uns keinen wirklich konkreten Bezug hatten: Brutstätte, aktive Ausbrüche, Infizierte, Ansteckungszahlen, Lock Down, Sperrmaßnahmen, soziale Distanzierung.
In Venedig fing es am Sonntag, den 23. Februar 2020 an, als der Bürgermeister den Karneval ab 24 Uhr wegen der Ansteckungsgefahr des Covid-19 stilllegte und dieses wenige Monate nach dem katastrophalen Hochwasser vom 12. November 2019.
Nun im Frühling 2021 begleiten uns ähnliche Wörter wie belegte Intensivbetten, R Reproduktionszahl, 7Tage Inzidenz, verabreichte Impfungen leider noch täglich.
Was wurde in Venedig in der Vergangenheit gegen schreckliche Seuchen unternommen? Denn Venedig musste sich schon im Mittelalter mit Sumpffieber, Lepra, Malaria, Pocken, Cholera und vor allem Pest ständig konfrontieren.
SAN LAZZARO – DIE LEPRA
Lepra, aus dem griechischen schuppig, rau, ist eine ansteckende chronische Krankheit, die Inkubationszeit lang, ca. 5 Jahre, der Krankheitsverlauf ebenfalls, 1 bis 20 Jahre, die Mortalität nicht sehr hoch.
Im XIII. Jahrhundert hatte der Aufstieg der Serenissima begonnen. Dekor sollte auf den Straßen überall herrschen, also entstellte Bettler mit auffälligen Veränderungen an Haut und Knochen mussten von der Gesellschaft ausgesondert worden. Ein von religiösen Mönchen geführtes Krankenhaus wurde in 1262 auf der 3,5 Hektaren kleinen Insel San Lazzaro in der südlichen Lagune eingerichtet.
Existiert die Insel heute noch? Ja, seit dem XVIII. Jahrhundert ist die Insel Sitz vom armenischen Mechitaristen Orden.
DER TÖDLICHE HAUCH – DIE PEST
Wie haben Venezianer eine noch schlimmere hochgradige, ansteckende Infektionskrankheit wie die Pest, den tödlichen Hauch (aus dem indoeuropäischen *pes, tödlicher Hauch) behandelt?
Morbilität (Verhältnis zwischen Erkrankten und Gesunden), Fallsterblichkeit (Verhältnis zwischen Verstorbenen und Erkrankten) und Mortalität waren extrem hoch, da die Inkubation 2 bis 5 Tagen war, der Krankheitsverlauf ebenfalls nur 2 bis 5 Tagen.
Zur Zeit vom römischen Kaiser Justinian I wurde Europa von der ersten großen Pestwelle heimgesucht. Die erste Pestepidemie jedoch mit welcher sich Venezianer konfrontieren mussten war in 1348; schätzungsweise forderte der schwarze Tod 30 Millionen Opfer, davon fast 60.000 Venezianer der damaligen 110.000 Einwohner.
Pesterreger und Auslöser ist ein Bakterium Yersinia Pestis, das nur in 1894 entdeckt wurde. Ursache war der Floh Xenopsylla cheopis, der die Ratten ansteckte. Diese schwarzen Ratten ließen sich in Schiffen (und Karawanen) von Hafen zu Hafen transportieren und infizierten Menschen überall. Vom Handel hing die Wirtschaft Venedigs ab; niemand wollte den Zugang der Schiffe in Venedig verbieten.
ERFINDUNG VOM LAZARETT – LAZZARETTO VECCHIO
Als erste Gegenmaßnahme und um mögliche Ausbrüche in der Stadt vorzubeugen, wurde am 28. August 1423 ein weltlich geführtes Krankenhaus für sichere Fälle von Pestkranken auf einer 2,5 Hektaren kleinen Insel der südlichen Lagune Lazzaretto Vecchio mit staatlichem Geld (aus der Behörde Magistrato Al Sal) eingerichtet.
Es war eine epochale Entscheidung zur Zeit des Dogen Francesco Foscari; vier seiner Söhne waren an der Pest gestorben.
Das erste Lazarett der Geschichte war nicht nur für die angesteckten Schiffsanreisende gedacht, sondern auch für pesterkrankte Venezianer.
VORBEUGUNG DER INFEKTION –LAZZARETTO NUOVO
Heute führe ich Sie jedoch zur 20 Hektaren großen Insel Lazzaretto Nuovo in der nördlichen Lagune, nur 3 Km von Venedig entfernt.
Die Insel wurde in 1468 als weitere vorbeugende Maßnahme eingerichtet, um verdächtige Brutstätte an Bord überprüfen zu können, erneut mit staatlichem Geld, also als Quarantäneinsel und –Station sowohl für contumacianti, ausgewiesene Schiffsanreisende und ihre Waren als auch für aus dem Lazzaretto Vecchio überlebende Pesterkrankte.
In alten Unterlagen wird das dauerhafte Pestspital als ‚cum mura circondata‘ und als ‚vigna murada‘ beschrieben. Die Insel ist heute noch von einer 1 Km langen Mauer mit 1000 Schiesscharten umgeben, die von den Österreichern zwischen 1830 und 1840 wiederaufgebaut wurde.
Durch ein Portal erreichen wir ein großes Feld mit einer Reihe von schönen Maulbeerbäumen.
Die Insel besteht heute aus einem großen Gebäude TEZON GRANDE und einem kleineren TESA Bau für die Waren, zwei Pulverhäusern und Ausgrabungen von dem Haus des Priors und den Häusern der ausgewiesenen Infizierten.
Imposant ist der 102 Meter lange Tezon Grande (22 x 10 Meter), das zweitlängste Gebäude Venedigs nach der Seilerei im Arsenal. Die Bögen waren einst offen (mit den Habsburgern wurden sie zugemauert, das Gebäude um 1 Meter erhöht und das Dach mit 9 Pilastern gestützt), 30 Bögen auf jeder Seite plus 2, so daß die Luft zirkulieren konnte. Hier wurden Waren gestapelt, mit Wacholder, Rosmarin oder aromatischen Kräutern desinfiziert, Münzen mit Essig und glühheißem Wasser.
Kommt uns heute leider sehr bekannt vor!
Von der erhöhten Bühne beobachteten die Zuständigen alle Verfahren.
Über der Eingangstür erkennt man geheimnisvolle Buchstaben, Zahlen, Zeichen, die sich auf die damaligen Waren, die hier gelagert wurden, beziehen und verschiedene Inschriften, z.B. eine Aussage über ein Schiff aus Zypern.
Ein Wunder, daß trotz Feuchtigkeit, hinzugefügte Schichten Mörtel die schöne und sichere Schrift noch lesbar ist!
Wer hat sie gemacht? Wer waren die Bastazi? Woher kamen sie ursprünglich?
Das heutige Gebäude ist in 2 aufgeteilt, Tezon lato Venezia und Tezon lato Burano; hier sind die Depots der Oberaufsicht für archäologische Fundstücke, die auf der Insel und in anderen Teilen der Lagune ausgegraben wurden).
An der anderen Innenwand erwähnte die schönste und beste aufbewahrte Inschrift den Dogen Cicogna.
Wir gehen an die frische Luft zurück.
PALAST DES PRIORS
Zuständig für die Insel und den Tezon Grande war ein Prior, der von der Gesundheitsbehörde für 4 Jahre gewählt wurde. Sein Haus im nördlichen Teil der Insel hatte auch einen Innenhof mit einem Brunnen.
Es gab auf dieser Insel 7/8 Brunnen, darüber reden wir in Details während unseres Besuches.
Hinter seinem Haus gewinnt man einen wunderschönen Blick auf die Salzwiesen der flachen venezianischen Lagune.
Francesco Sansovino beschrieb die Insel wie ein Schloss mit 100 Räumen. Die Mauer der Häuser mit hundert Kaminen sind in vielen Stichen deutlich zu erkennen.
Tausende von Personen wurden hierher isoliert, 3000 oder 4000 im Höhepunkt der Ansteckungsfase; als die Bettkapazität zurückgegangen war, hat man 3000 Schiffe, also fluktuierende Lazarette, für weitere 8000 bis 10000 Infizierte verwendet.
Reste von Mauern deuten auf die Struktur dieser Häuser mit Kamin hin, sie hatten WC und Küche im EG, eine erste Etage aus Holz. Das Essen wurden von außen gereicht, auf Stäben, Brot, Fleisch und Schiffszwieback.
Die Einrichtung war wirklich ein Vorbild für das damalige Europa!
KIRCHE SAN BARTOLOMEO
Reste der ehemaligen Kirche San Bartolomeo sind rechts erkennbar. In der Nähe im südlichen Teil gab es auch einen Friedhof für Christen und Muslime, der später zu einer Böschung wurde. Soweit hat man 5 Niveaus ausgegraben, Münzen aus der ganzen Welt kommen ans Licht.
PULVERHAUS CASELLI DA POLVERE
Im XVI. Jahrhundert war das schwarze Pulver durch die Verbreitung der Feuerwaffen sehr begehrt. Das Pulver bestand aus Salpeter, Kohle und Schwefel, Salpeter musste in der Lagune produziert werden und bis zur Explosion in 1569 im Arsenal dort aufbewahrt. Um weitere Explosionen vorzubeugen, wurden 20 Pulverhäuser in der Lagune stationiert, davon sind nur 4 erhalten und davon 2 auf dem Lazzaretto Nuovo.
Aus Standardblöcken bestehend, sind sie Beispiele der Militärarchitektur.
Bis zum XVIII. Jahrhundert benutzt, wurde die Insel von den Franzosen und Österreichern befestigt, mit der naheliegenden Insel Sant Erasmo verbunden, Spuren von Gleisen sind noch erkennbar.
Vom Verteidigungsministerium in 1975 stillgelegt, wurde sie trotz erheblicher Beeinträchtigung einem Verein von Freiwilligen Ekos Club, in 1988 dem Archeo Club gegeben, der zusammen mit der Oberaufsicht in den 90er Jahren Renovierungsarbeiten und Ausgrabungen ausgeführt hat. Zeugen berichten, wie noch vor der 30 (?) Jahre Teile der Mauer und das Tezon Grande von Efeu komplett überwuchert war.
Wie wurden Unterlagen desinfiziert? Was waren Fide Sanità und Patenti di Sanità? Warum wurde im XV. Jahrhundert neben Sebastian ein neuer Schutzpatron vor Seuchen wie Rochus eingeführt? Was für eine Rolle spielte der gebildete Venezianer Francesco Diedo in der Ausbreitung der Verehrung des Rochus in Venedig? Wie viele Sorten von Pest gab es? Was war der Teriaca Trank?
Zusammen können wir im Sommer 2021 diese Insel besichtigen. Wir sehen der Zukunft mit einem neu aufgeweckten Interesse und Verständnis für die vergangenen Pestwellen entgegen, als Folge unserer Erfahrungen in der aktuellen Covid Pandemie.
Fiona Giusto
www.venicetours.it