Öfters wünschen sich wiederkehrende Gäste die Scuola di San Rocco noch einmal zu besichtigen, und dieses geschieht häufiger als den Dogenpalast !
Die Rochusbruderschaft ist eine (noch existierende) laie Bruderschaft im Stadtviertel San Polo, deren karitative Funktion einst hauptsächlich die Hilfe der Pestkranken erzielte.
Der heilige Rochus wird immer am 16. August gefeiert. Dann kann man die Bruderschaft, die Schatzkammer und die Kirche mit einer Spende von mind. 1 Euro besichtigen.
Was fasziniert und fesselt so sehr der moderne Besucher ?
Erstens die unerwartete reiche Innengestaltung, eine unwiderstehliche Faszination und eine ‘Stimmung’, die durch die dunklen dramatischen Leinwänder von Tintoretto, die allegorischen Holzfiguren von Pianta und die originalen Fortuny Lampen entstehen.
Zweitens die unerwartet modern, heute noch aktuelle Funktion einer venezianischen Bruderschaft, ihren Mitgliedern in Zeiten von Not zu helfen.
Das berühmteste Bild ist zweifellos die Kreuzigung, die Jacopo Tintoretto zwischen 1565 und 1566 mit kraftvoller Hand für die Herberge (Sala dell’albergo) malte.
Die Kreuzigung ist eine alte Hinrichtungsart, wurde im alten Rom für die Anhänger Jesu benutzt. Keine Abbildungen von Kreuzigungen und von Kreuzen sind aus den ersten 3 Jahrhunderten verständlicherweise bekannt.
Erst nach der Konstantinischen Wende wurde diese Methode durch andere ersetzt. Das Kreuz wurde bald zu einem Symbol des christlichen Glaubens. Man findet das Motiv in Apsiden, Taufkapellen, Gräber, in alten Türen (Santa Sabina Kirche in Rom, wo zum aller ersten Mal Christus zwischen den 2 Räubern dargestellt wird), in hölzernen Kreuzigungen aus dem XI. Jahrhundert in Kirchen (Pavia, Mailand, Forli’, Vercelli); die Figur des Christus triumphans (lebend, mit aufgerichtetem Kopf und offenen Augen) wird zur Figur des Christus patiens (mit dem Kopf auf einer Schulterm mit geschlossenen Augen leidend (Giunta Pisano, Cimabue).
Wenn zu Beginn das Kreuz und das Ereignis der Wiederauferstehung eins als die Folge des anderen betrachtet wurde, wurden die zwei Themen im Mittelalter zunehmend getrennt behandelt.
Wenn wir den Raum der Herberge betreten, merken wir die Bilder der Passion Christi, des Leidenweges nicht, Christus vor Pilatus, der Schmerzensmann und die Kreuztragung verschwiegen hinter uns, da wir von der riesigen Kreuzigung (fast 6 x 13 Meter) ab sofort gefesselt werden !
Wenn man zur Bibel greift, dann merkt man, dass vor allem die Version der Kreuzigung von Johannes anders ist.
Markus schildert
22 Und sie brachten Jesus an einen Ort namens Golgatha, das heißt übersetzt: Schädelhöhe. 23 Dort reichten sie ihm Wein, der mit Myrrhe gewürzt war; er aber nahm ihn nicht. 24 Dann kreuzigten sie ihn. Sie warfen das Los und verteilten seine Kleider unter sich und gaben jedem was ihm zufiel. 25 Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. 26 Und eine Aufschrift gab seine Schuld an, Der König der Juden. 27 Zusammen mit ihm kreuzigten sie zwei Räuber, den einen rechts vor ihm, den anderen links.
Diese Szene spielt sich auf dem Golgota, auf einem unbekannten Hügel außerhalb des Jerusalems der Antike. Oben links erkennt man einen Palast um einen Turm, die Burg von Antonia, wo man damals glaube, der Sitz des Prätorium von Pilatus sei. Dort wurde das Urteil gefällt und von der Tür aus, dort fing die Via Crucis an, die zum Golgota Hügel führte.
Der Hügel ist einer quadratischen Erhöhung gewichen, die ‘Kante’ der quadratischen Erhöhung kreuzt sich mit dem senkrechten Kreuz, wo Christus festgenagelt wurde. Weitere 2 Diagonallinien entstehen durch die trauenden Anwesenden unter dem Kreuz, also ein X mit weiterem Strich senkrecht durch seine Mitte laufend. Durch die anderen 2 Räuber, die noch nicht am Kreuz hängen – sie werden gefesselt, nicht festgenagelt – versteht man die Stationen des Leiden von Christus.
36 … Einer lief hin, tauchte einen Schwamm im Essig, steckte ihn in einen Stock und gab Jesus zu trinken MK
Man sollte nicht vergessen, Tintoretto’s interessante Bild entstand kurz nach dem Ende des Konzils von Trient, zu einem Zeitpunkt, wo die Kirche im dem Bilderdekret auch von den Künstlers biblisch treue Stoffe verlangte :
„daß den Gläubigen in den Bildern der Heiligen heilsame Vorbilder vor Augen gestellt werden, damit sie Gott dafür danken, in ihrem Leben und in ihren Sitten das Beispiel der Heiligen nachahmen und überhaupt ermuntert werden, Gott anzubeten und zu lieben und die Frömmigkeit zu pflegen“. … „daß keine Bilder zur Aufstellung gelangen dürften, die eine falsche Lehre bekundeten und Unkundigen Anlaß zu gefährlichem Irrtum geben könnten … Jede Lüsternheit solle vermieden werden, so daß keine Bilder von üppiger Schönheit gemalt oder geschmückt würden … Nichts Profanes, nichts Unanständiges dürfe an ihnen in Erscheinung treten, da dem Hause Gottes Heiligkeit gezieme’.
Also keine unverbürgerte Wunder oder erfundene Legenden, sondern die irrtumsfreie Wahrheit bis zum Detailstreuen; korrekte christliche Inhalte, kein profane, laszive oder irreleitende Unzucht.
Symbolik durchtränkt das Bild.
Tintoretto kannte das Thema; er hatte schon 6 Mal die Kreuzigung ausgeführt, und hier distanziert er sich von der Renaissance Kultur und ihrem Interesse für die Antike, indem er Jerusalem ohne zu viele alte Bauten darstellt.
Verschiedenes Ikonographisches hat Tintoretto weggelassen. Der Tempel von Salamon fehlt. Die Schädel fehlen, der Geruch fehlt. Tintoretto wollte eher die Glorie verherrlichen und die Demütigung verringern. Einige Historiker (Antonio Manno, Tintoretto La Crocifissione, Marsilio) behaupten, der Obelisk könnte ein Bezug auf den Sonnenkult sein, ein Symbol des kaiserlichen Roms, die neue Sonne, dem neuen Licht Christi gegenüber gesetzt.
Wenn Sie die Bruderschaft besichtigen werden, dann werden Sie merken, wie Tintoretto das Thema des Obelisken und der Burg Antonia vom Sockel der Eingangstür übernommen hat.
Über 50 Figuren zählt man: rechts ein reitender Türke von hinten gemalt, der sich vom Christus abwendet, rechts Kaifa ebenfalls auf einem Pferd (durch den Hund erkennbar), Pferde, Esel, Mitglieder der Bruderschaft… Angeblich hat sich Tintoretto auch hier dargestellt. Wo? Das können wir zusammen in einer privaten Führung von San Rocco entdecken! Wenn Sie dieses Bild live bewundern möchten und weitere Geschichte und Anekdoten dazu hören möchten, mailen Sie mir!
von Fiona Giusto
genehmigte Stadtführerin in Venedig, Italien
www.venicetours.it